Spukhafte Fernwirkung

Forch/FURT

By: Dietrich Heißenbüttel

Neue Zeitschrift für Musik

2015

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Language: deutsch

Es war Reinhard Kagers Leidenschaft als SWR-Redakteur 2002 bis 2012, Elektronik in die improvisierte Musik einzubringen und mit Instrumentalklängen zu verbinden. Bereits 2005 lud er Richard Barrett und Paul Obermayer ein, das Elektronik-Duo FURT zu dem größeren Ensemble fORCH zu erweitern: Dabei steht «f» für FURT, «ORCH» für Orchester.
Zu seiner letzten NOW Jazz Session der Donaueschinger Musiktage, an der auch Julia Neupert schon mitgewirkt hat, bat er Barrett und Obermayer, noch einmal ein Stück für fORCH zu schreiben. Auf der CD ist zuerst die 41-minütige Gruppen-Improvisation-Komposition spukhafte Fernwirkung zu hören, dann das 17-minütige Duo Hmyz, ebenfalls uraufgeführt bei den Donaueschinger Musiktagen, hier allerdings in einer Studioeinspielung. Komposition meint in diesem Fall, wie in der improvisierten Musik üblich, zunächst Strukturierung. Barrett/Obermayer haben das Stück unterteilt in Duo, Trios, Quartette und verschiedene Varianten begleiteter Solostimmen. Wobei Duo nicht heißt, dass alle anderen zwangsweise ruhig zu sein haben, vielmehr bleibt die Entwicklung offen. Dazu kommt, dass die beiden Laptop-Artisten Material aus den Proben mit einspielen, so dass tendenziell eine sehr hohe Dichte entsteht und sich Instrumental- und Vokalklänge manchmal kaum von ihren Doppelgängern unterscheiden. Reduktion erscheint insofern notwendig.
Es beginnt also mit dem Schlagzeug des versierten Paul Lovens und den Harfen von Rhodri Davies, die so gar nicht nach Harfe klingen. Dann stehen sich Phil Minton und Ute Wassermann mit ihrer unvergleichlichen Vokalartistik gegenüber, schließlich Lori Freedman an der Klarinette und John Butcher, der gern Spaltklänge auf dem Saxofon produziert. Hier zeigt sich, dass nicht nur die Elektroniker Instrumentalklänge verarbeiten, sondern auch, wie sich umgekehrt die erweiterten Spieltechniken der Instrumente an elektronischer Musik orientieren – genau dies besagt ja Lachenmanns Begriff der «Musique concrète instrumentale».
Eben solche geräuschhaften, nicht herkömmlichen Spieltechniken sind längst fester Bestandteil der improvisierten Musik. Umgekehrt lässt sich sagen, dass erst die improvisierte Live-Elektronik eine auch im Konzert anhörbare Lebendigkeit erreicht, auch wenn die Verbindung zwischen den reglos hinter ihren Laptops sitzenden Musikern und den Klängen aus dem Lautsprecher immer etwas rätselhaft bleibt. Zwischen Instrumenten, Stimmen und Elektronik ergeben sich also interessante Wechselwirkungen in beide Richtungen.
Dagegen bietet das zweite Stück einen Vergleich, wie sich die Ästhetik der splitternden Klangkaskaden rein elektronisch anhört. Während die Aufnahme der größeren Besetzung den Konzerteindruck nur begrenzt wiedergeben kann, lässt sich das elektronische Stück allerdings ebenso gut zuhause anhören.